Donnerstag, 27. September 2012

Kapitel 7 - Hinter dem Regenbogen

Als Severino und ich uns kennenlernten erzählte er, dass er Sterbende begleitet  und ich war völlig fasziniert. Einige Jahre zuvor hatte ich die Idee, dass eine ehrenamtliche Arbeit in einem Hospiz eine tolle Sache wäre, das Anliegen wurde jedoch von einer Kölner Zentralstelle abgelehnt, da keine Qualifikationsdokumente im Sozialen Bereich vorlagen.
Für mich war es keine Frage Sterbende begleiten zu können. Erfahrungen diesbezüglich hatte ich nicht, doch ich war mir sicher bei dieser Tätigkeit gut augehoben zu sein. Oft scheitern erste Ideen anhand festgelegter Strukturen, Hierarchien oder sonstigen Regelungen. Die Gelegenheit nutzend fragte ich freudig meinen neuen Freund, ob er mich nicht einmal in das Hospiz mitnehmen könne. Einige Wochen später tat er das, ein Patient willigte ein und freute sich angeblich schon sehr auf unseren Besuch, Sevi schien er nach dessen Aussagen sowieso schon zu lieben und dies bestätigte sich dann auch.
Als wir im Hospiz ankamen, es war irgendwann in der Vorweihnachtszeit, ging Sevi erst einmal vor und ich nutzte die Gelegenheit, um mit einem neuen Handy, das ich vom Nachbarn Joe geschenkt bekommen hatte, die Filmfunktion auszuprobieren. Das war mal etwas völlig anderes als zu fotografieren. Ich klickte auf den Aufnahmeknopf, ging einige Schritte durch den Klostergang und erzählte spontan, was mir gerade in den Sinn kam. Das Ergebnis können Sie im kleinen Clip einsehen.
Als mir vorhin der Gedanke durch den Kopf schoss, dass ich diesen Clip in den Blog laden könnte, waren erste Zweifel gross, weil der Clip recht stümperhaft ist, doch das zufällig zeitlich abgestimmte Glockengeläut auf « JETZT » ist beeindruckend. Grundlos sprang ich auf, ging in die Küche und sah durch das Fenster einen leuchtenden Regenbogen, natürlich holte ich sofort die Kamera. Während ich den Regenbogen bestaunte und mich dabei fragte, warum ich überhaupt in die Küche gegangen war, fiel mir wieder die Geschichte vom Hospiz ein und dann dachte ich an meine verstorbene Grossmutter. Genau aus diesen Gründen schreibe ich genau jetzt dieses kleine Erlebnis. Eine kleine Geschichte aus der Welt, die hinter dem Regenbogen liegt.


Sevi gab mir Bescheid, ich würde schon erwartet und könne in das Zimmer gehen. Er sehe in der Zwischenzeit bei einem anderen Patienten nach dem Rechten. Schüchtern trat ich in das Krankenzimmer ein. Die Ehefrau des Mannes stand im Raum. Ich wusste nicht, dass auch sie anwesend war und wollte leise und respektvoll den Rückzug antreten. Doch die Frau lud mich zu einer Tasse Kaffee ein und bot mir freundlich einen Stuhl an. Zuvor begrüsste ich den kranken Herrn. Noch nie zuvor hatte ich einen so dürren Menschen gesehen. Er schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Es glich einem Wunder, dass er noch lebte. Er war sehr schwach und konnte kaum Worte artikulieren, doch ich bemerkte aufgrund seiner Reaktionen, dass er mich bestens verstand und so verhielt ich mich normal. Die Frau verwickelte mich kurz darauf in ein Gespräch und ihre Emotionen fuhren dabei Achterbahn. Als Sevi wieder zu uns stiess, quasselten wir in einem fort zu dritt. Der Herr im Hintergrund lag still und den Umständen ausgeliefert in dem nüchtern weiss bezogenen Bett und schien beinahe vergessen.

Aus irgendeinem Zusammenhang heraus brachte Sevi die geläufige Redewendung: « Learning by doing ». Daraufhin ertönte es schwach aus dem Hintergrund: « Learning by Tod ». Nach einem kurzen sprachlosen Augenblick brachen wir drei in lautes Gelächter aus und der Herr wird mir sicherlich mit seinem Humor bis ans Lebensende in Erinnerung bleiben. Die Sorge, den Humor eines Tages verlieren zu können, war in diesem Moment hinfällig geworden.
Der Mann war ein Gourmet und bat Sevi darum, ihm doch bitte etwas Likör einzuflössen. Das Bild wie ein Mensch in seinen letzten Tagen noch genussvoll die Gesichtszüge verziehend an einem Likör schleckt ist ein Erlebnis.

Ich verprach dem Patienten noch ein weiteres Mal zu Besuch zu kommen. Für diesen Besuchstag entschied ich mich, ihm ein Geschenk in Form einer Fotomonage eines Engels mitzubringen, worüber er sich sichtlich freute. Auf die Frage hin, was er sich von der «anderen» Seite erhoffe antwortete er, dass eine seiner grössten Leidenschaften Musik sei und er sich eine geniale Rockparty wünsche.

Einige Wochen nach der Beerdigung wurden wir von dessen Ehefrau zum Essen eingeladen. Ehrfurchtsvoll bestaunte ich eine Zimmerecke, in der die Urne aufgestellt war. Über der Urne hing das Engelsbild. Die Frau erklärte, ihr Mann hätte sich so sehr darüber gefreut, dass dieses Bild einen Ehrenplatz zugewiesen bekommen hatte. Ich war völlig ergriffen.
Parallel zu diesen prägnanten Erlebnissen und all dem Austausch über Leben und Tod wurde ich mit dem plötzlichen Abschied meiner Grossmutter konfrontiert. Es war, als sei ich schonend auf das Thema Abschied vorbereitet worden.

Überall hören und lesen wir vom Jetzt und vom Gegenwärtigen Leben. An solcherart Sprüchen kommt man ja kaum noch vorbei, da muss man nun wirklich taub und blind durch die Welt laufen.
Doch setzen wir diese Weisheiten auch tatkräftig um? Leben wir im Jetzt und ist uns jederzeit bewusst, dass unser Leben jeden Moment durch einen noch so idiotischen Unfall vorbei sein könnte? Was würden wir heute tun, wenn wir wüssten, morgen zu sterben? Ich für meinen Teil würde gestalten, fotografieren und Geschichten aus dem Leben schreiben mit der Intention, andere damit zu animieren dem Ruf ihrer eigenen Herzen zu folgen, ihren Träumen nachzugehen und Menschen in schwierigen Lebenslagen ein Stück Hoffnung zu geben.
Was würden Sie tun?...


« Gestern war gestern, Morgen ist morgen, der Zauber liegt im Moment. »

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