Seit Dezember äusserte ich immer wieder, dass ich mich reif für die Insel fühle. Als ich firmenbedingt zur grössten Überraschung eine Auszeit genehmigt bekam, überlegte ich, es wäre sinnvoll die geschenkte Zeit nicht untätig verstreichen zu lassen.
Wenn schon reif für die Insel, warum nicht auch dorthin reisen?
Kurzentschlossen ging es mit diesem Gedanken ins Reisebüro. Der freundliche Herr empfahl mir nach geäusserten Vorstellungen die Malediven.
Malediven? Warum nicht? In der derzeitigen Gemütsverfassung war mir alles egal. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich bereit war etwas zu tun, was normalerweise der Verstand nicht zugelassen hätte. Man soll so leben als wäre es der letzte Tag und seit ich denken kann wünsche ich mir einen sagenhaften Schnorchelurlaub. Jetzt war ich bereit, für diesen Traum das Konto zu plündern und so zu tun, als gäbe es kein morgen mehr.
Der Herr im Reisebüro suchte eine ganze Weile im Computersystem und fand schlussendlich einen Platz. Mir ging noch durch den Kopf, dass ich sicherlich jetzt auf eine nicht ganz so schöne Insel käme, da diese Buchung sehr kurzfristig abgeschlossen wurde. Wie ich im Nachhinein hörte und las, bin ich auf einer der schönsten Schnorchel- und Taucherinseln der Malediven gelandet.
Mein Freund wollte nicht verreisen. Das war zwar schade, doch ehrlich gesagt war mir auch danach alleine zu sein.
Ein weiterer Punkt stellte für mich eine Herausforderung dar. Ich bin noch nie alleine geflogen, geschweige denn so weit und nur weil man älter ist, nimmt die Nervosität nicht automatisch ab.
Die Nacht vor der Abreise war mit wenig Schlaf gesegnet und als mich mein Freund am nächsten Tag zum Bahnhof brachte hatte ich kalte, schweissnasse Hände.
Die erste Hürde bestand darin, den Frankfurter Flughafen zu überstehen. Während der Einfahrt in den Fernbahnhof Frankfurt wechselte ich einige Worte mit einem Bahnbeamten und erklärte diesem, dass ich ganz nervös sei, denn dies sei meine erste Reise alleine in die grosse Welt. Direkt nach dem Ausstieg sprach mich ein Herr an, er hätte eben das Gesagte gehört, noch genug Zeit und wolle mich zum CheckIn Schalter begleiten. Wunderbar, für die erste Hürde gab es eine Hilfestellung. Jetzt würde ich es auch sicherlich noch in den Flieger schaffen und falls dieser nicht abstürzen sollte, auch zum Maledivischen Zielflughafen Malé. Nach mehr als 20 Stunden Reisezeit mit Bahn, Flug, Wartezeiten und Schnellboot kam ich glücklich am Zielort, auf der kleinen Insel in den Malediven an.
Etwas komisch fühlte es sich schon an, so alleine zwischen den paarweise auftretenden Gästen, doch es war auch ok.
Schon am ersten Nachmittag konnte ich es mir trotz aller Müdigkeit nicht nehmen lassen, schnorchelte in der Lagune umher und freute mich über erste bunte Bekanntschaften. Da ahnte ich noch nicht, was mich noch alles erwarten würde.
Am nächsten Tag fragte ich bei der Tauchschule nach, wie es sich mit dem Schwimmen ausserhalb der mit einer Mauer begrenzten Lagune verhielte und bekam gesagt, dass ich das könne, doch nicht zu weit raus schwimmen solle.
Am nächsten Tag erkundete ich das erste Mal die Unterwasserwelt ausserhalb der Mauer. Schnorchelte, schaute und staunte.
Das war weit mehr, als ich erwartet hatte. Ein Paradies tat sich auf. Ein langjähriger Wunsch ging in Erfüllung. Völlig verzückt paddelte ich durch diese andere Welt. Auf einer der ersten Routen bemerkte ich, dass mich ein Nadelfisch begleitete. Anfangs vergewisserte ich mich immer wieder, ob es sich die ganze Zeit über um den gleichen Fisch handelte. Ja, tat es. Mal rechts von mir, dann um mich herum, dann links vor mir, dann quer vor mir. Er sah mich ganz genau an. Mit der Zeit fand ich es amüsant und lachte, der benahm sich ja beinahe wie ein Hund. Auf die Frage an den langjährigen einheimischen Tauchlehrer, was er über Empfindungen der Unterwasserbewohner denke erklärte dieser, Fische hätten genauso Gefühle wie beispielsweise Hunde oder Katzen.
Ich tauchte völlig in diese Welt ein und sog alles in mir auf. Fantastisch! Als am dritten Urlaubstag ein grosser Manta in der Ferne vorbei flog, setzte für einen Augenblick die Atmung aus und es schien, als verharre die Welt für einen Augenblick.
Die Empfindungen dazu sind unbeschreiblich. Einen Augenblick herrschte tiefer Frieden. Alles war ruhig und richtig.
Als ich den Angestellten glücklich das erste grosse Erlebnis berichtete, wurde gesagt, ich hätte grosses Glück.
Auf die Anfrage hin bekam ich die Information, dass Schnorchelgänge am effektivsten um 6.30h und um 17.00h sind und so richtete ich die Tagesabläufe nach ganau diesen Zeiten aus.
Frühmorgens, direkt bei Sonnenaufgang ging es ab ins Wasser.
Am ersten morgendlichen Schnorchelausflug dachte ich, ich sehe nicht recht. Da schwamm in der Tiefe ein Hai. Ein echter Hai!
Mir klangen noch die Worte im Ohr, dass es etwas Besonderes wäre, ein Hai zu sehen und da schwamm einer. Glücklicherweise in einem akzeptablen Abstand. Erneut stockte die Atmung und der Puls schnellte spürbar in die Höhe.
Nachmittags sah ich aus nächster Nähe eine Moräne. Diese steuerte auf mich zu und leicht panisch machte ich mich auf die Flucht. Jetzt war nicht ich der Verfolger, sondern die Verfolgte.
Verzückung, Freude, Glück, Heiterkeit, Faszination und auch angstvolle Momente wechselten schnell und beständig innerhalb dieser Tage.
Die Meerjungfrauenflosse hatte ich mitgenommen. Mit etwas quetschen hatte diese glücklicherweise in den Koffer gepasst. Schon seit längerm wünsche ich mir Meerjungfrauenaufnahmen in einem richtigen Meer, mit richtigen echten Fischen.
Auf die Anfrage in der Tauchschule hin wurde sofort erklärt, dies sei kein Problem, ein junger Tauchlehrer würde sich darum kümmern. Leider fand sich kein anderes Model und so blieb es eben bei meiner Person.
Als sich der Tauchlehrer mit mir auf den Weg machte, wusste ich noch nicht, in wie weit mir das Tauchen mit offenen Augen im Salzwasser überhaupt möglich sei. Es klappte besser als erwartet. Grössere Probleme hatte ich dahingehend, abzutauchen und gegen die Strömungen anzukommen. Im eleganten Meerjungfrauenstil zu schwimmen sieht anders aus, doch immerhin!
Das Riff, das sich um die gesamte Insel zog, fiel nach wenigen Metern steil in die Tiefe ab. Während dem Schnorcheln überschwamm ich diese Grenze nie. Der Fall nach unten war beeindruckend und flösste grössten Respekt ein. Wie aus Gesprächen zu entnehmen war, ging es anderen auch so. Prinzipiell ist es ja unerheblich, wie tief das Wasser unter einem ist, da man ja sowieso an der Oberfläche schwimmt, doch dieser Anblick löste regelrechte Höhenangst aus.
Des Weiteren waren die Strömungen teilweise nicht ohne. Da ich ohne Taucherbrille diese Tiefe nicht sah und der Tauchlehrer mich dazu ermunterte schwamm ich als Meerjungfrau in spe über diese Grenze hinaus.
YouTube-Clip: underwater paradise
YouTube-Clip: Meerjungfrau auf den Malediven
Am nächstmorgendlichen Schnorchelausflug sah ich wieder von weitem den Hai. Der wurde allmählich zu einem morgendlichen Stammgast. Auf meine tags zuvor gestellte Anfrage hin, ob die stark eiternde Wunde, die ich mir durch einen tollpatschigen Stolperer am ersten Schnorchelausflug zugezogen hatte, einen Hai herausfordern könnte, war die Antwort dass das überhaupt nichts mache. Mit einer blutenden Wunde hingegen hätte ich ein Problem. Mit dieser Information konnte ich mit der zweiten Haisichtung umgehen. Machte ein Foto und im nächsten Augenblick dachte ich, ich sehe nicht richtig. Der Hai machte schräg kehrt und schwamm frontal auf mich zu. Mir schoss nur noch durch den Kopf: <scheisse, die Wunde ist doch nicht unerheblich>. Dann waren sämtliche bewussten Hirnfunktionen ausgestellt. Die Hand mit der Kamera zitterte zu sehr, als dass ich hätte den Aufnahmeknopf drücken können, nahm wahr, wie das Tier mich ansah und dann unter mir her tauchte.
Jetzt wusste ich, dass er mir nichts tun würde, drehte mich um und war noch fähig ein Foto zu machen, als er auf der anderen Seite unter mir hertauchend wieder erschien und dann noch von hinten ein qualitativ richtig schönes Bild.
Wow. Auge in Auge mit einem Hai. Die Erzählung darüber sorgte für Lacher.
Von einer Tauchlehrerin wurde ich einige Tage später angesprochen, ich sei doch die, unter der ein Hai durchgetaucht sei. Das war also kein alltägliches Ereignis und ich schien also ein echter Glückspilz zu sein. Eine weitere spannende Begegnung war mit einem Rochen. Auch dieser erschreckte mich immens. Während ich munter bunte Fischlein filmte und fotografierte starrte er mich, wie aus dem Nichts erschienen, mit seinem grossen Auge an. Diesmal schaffte ich es geistesgegenwärtig die Kamera draufzuhalten und ruhig schwamm das Tier halb unter mir seine Bahn weiter.
Wieder einmal stockte für eine Weile die Atemfunktion. Alles war aufregend und ich war immens dankbar für diese wunderbaren Geschenke, die mir an diesem Ort zuteil wurden. Zur Krönung sah ich noch einen Adlerrochen vorbeischweben.
Ein Einheimischer lachte immer wieder und meinte, mich würden alle Fische lieben. Zur grössten Freude liess sich auch eine Wasserschildkröte blicken. Einmal tauchte sie direkt neben mir auf, um Luft zu holen.
In den ersten Tagen filmte und fotografierte ich alles, was mir vor die Linse kam. Bei einem grossen gelben Fisch, einem Riesendrückerfisch, staunte ich über dessen Kräfte, während ich ihm filmend dabei zusah, wie er für sein Abendessen Steine aus dem Weg räumte.
Als ich dies einem Tourist erzählte meinte dieser, vor denen solle ich einen grossen Bogen machen und riet einen Abstand von mindestens 10 Metern, denn diese Fische könnten gefährlich werden.
Ab diesem Rat war ich etwas ängstlicher und oftmals drehte ich mich beim Schnorcheln einmal um mich selbst, um zu sehen, was sich hinter mir tat.
Am letzen Urlaubstag wurde ich frühmorgens von einem dieser Fische von hinten attackiert. Wieder einmal war ich über paradiesischen Bildmotiven total versunken, als mich etwas ins Knie biss, ich mich erschrocken umdrehte und einen grossen Riesendrückerfisch auf mich zuschiessen sah.
Ich glaube ich dachte nur noch <oh scheisse>. Dann wurde wieder einmal das bewusste Denken in Ruhemodus gefahren und nur noch einem Fluchttrieb nachgegangen.
Panisch drehte ich mich einige Male um, sah, wie der Fisch erneut Anlauf nahm und bemerkte noch, wie es an einer Flosse ruckte und hoffte, es unbehelligt bis in die Lagune zurück zu schaffen.
Die Tauchlehrerin lachte als ich ihr dies erzählte und meinte, diese Drückerfische wären gefährlicher als Haie. Solange die Frau noch darüber lachte, schien es ja nicht ganz so schlimm zu sein. Mir kam der Gedanke, dass es der Fisch gewesen sein könnte, den ich die ersten Tage mit der Kamera genervt hatte und der es mir nun heimzahlen wollte. Eine plausiblere Erklärung ist, dass ich in der Nähe von seinem Nest geplantscht hatte, das er verteidigt hatte. Wie im richtigen Leben sind auch unter Wasser die Sympathien unterschiedlich gelagert. Dieser morgendliche Schnorchelausflug am letzten Urlaubstag war dann auch der letzte. Das war überhaupt nicht weiter tragisch, denn somit konnte ich noch den tierischen Inselbewohnern Aufmerksamkeiten widmen und freue mich im Nachhinein über viele wunderbare Fotos.
Die Unterwasserwelt ist paradiesisch, ein echter Traum. Ich suchte Gespräche mit den herzlichen Einheimischen und schon bald erkannte ich, dass auch ein Paradies seine Kehrseite hat.
So klein diese Insel auch war, die Bungalows zogen sich rund um ein Fussballfeld, herrschte eine strenge Hierarchie für die Angestellten.
Die untere Arbeiterschicht, der sogenannte <Stuff> durfte sich nur geringfügig von seinem Wohnquartier und Arbeitsbereich entfernen. Touristische Einrichtungen waren tabu.
Ich schob es darauf zurück, dass es eine strenge muslimische Gegend war, doch einige Einheimische erzählten mir unabhängig von einander das Gleiche.
Die Situation hätte nichts mit dem Glauben zu tun, sondern mit dem hierarchischen Management.
Alles in Allem war es eine wunderschöne bereichernde Zeit. Am Ende sah ich dem Abreisetag nicht unglücklich entgegen und freute mich wieder auf zuhause.
Vor vielen Jahren träumte ich davon, gemeinsam mit vielen Fischen zu schwimmen. Im Traum fand ich es fantastisch nicht luftholen zu müssen und genoss den Traum in vollen Zügen. Ich bemerkte im Schlaf, dass ich kurz davor war, aufzuwachen und erinnere mich noch genau daran, wie ich mich davor weigerte. Seit ich denken kann, war solch ein Erlebnis ein tiefer Herzenswunsch, dem ich nie bewusst nachgegangen bin.
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Anmerkung:
Mir ist bewusst, dass die Malediven geschützt werden sollten und es sicherlich besser wäre, diese nicht zu besuchen.
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